Die DKP-Ideologen Holger Wendt und Robert Steigerwald ergänzen den auf diesem Blog bereits kritisierten Angriff Werner Seppmanns auf die sog. neue Marx-Lektüre. Offenbar bemerkt die DKP, dass ihr immer mehr die Deutungshoheit über die Marxsche Theorie abhanden kommt – kein Wunder, denn die primitive marxistisch-leninistische Ideologie der DKP konnte ohnehin nur auf die blanke Macht der sog. ‚kommunistischen’ Parteien des Ostblocks gestützt einige Jahrzehnte überdauern.
Da Wendt, der schon ein ohne jeden Nachweis auskommendes Pamphlet gegen Michael Heinrich verzapft hat, hier genauso manipulativ und willkürlich in seiner Darstellung vorgeht, möchte ich allen, die überhaupt noch Interesse an solchen Debatten aus der Gruft der Untoten haben, einige kurze Hinweise geben.
1) Wendt behauptet, die neue Marxlektüre betreibe einen „Logizismus“ und verkenne jene Stellen, in denen Marx begriffliche Entfaltung und historische Entwicklung parallelisiert. Hätte Wendt sich die Texte seiner Gegner mal durchgelesen, statt ihnen seine eigenen Vorurteile zu unterstellen, hätte er festgestellt, dass Autoren wie Heinrich gar nicht leugnen, dass es an einigen Stellen Parallelen gibt oder bestimmte einfache Kategorien historische Entsprechungen aufweisen.
a) Wichtig ist aber, dass, selbst wenn es diese Entsprechungen gibt, diese keine Begründungsfunktion für die Erklärung des Zusammenhangs der Formen des gesellschaftlichen Reichtums haben. Heinrich: „Entscheidend ist aber nicht die Parallelität oder Nicht-Parallelität der kategorialen Darstellung mit der historischen Entwicklung. Denn selbst wenn eine Parallelität vorliegt, liefert sie für die Darstellung keine Begründung“. Das hat Elbe wissenschaftstheoretisch in seinem Buch unterfüttert (Stichwort: genetischer Fehlschluss).
b) Desweiteren geht es der neuen Marxlektüre vornehmlich um die Kritik der Engelsschen Behauptung, das „Kapital“ von Marx beginne mit der vorkapitalistischen Ware und zeichne in methodisch vereinfachter Form eine historische Entwicklung eines geldlosen hin zu einem geldvermittelten Warentausch nach. Zwar zeigt gerade die neue Marxlektüre, dass Marx an wenigen Stellen auch hier sinnwidrige Historisierungen einbaut, er aber weitgehend deutlich darauf besteht, dass ein Warentausch ohne Geld, wie ihn Engels behauptet, niemals stattfinden kann: „Ein Verkehr, worin Warenbesitzer ihre eignen Artikel mit verschiednen andren Artikeln austauschen, und vergleichen, findet niemals [!!!] statt, ohne daß verschiedne Waren von verschiednen Warenbesitzern innerhalb ihres Verkehrs mit einer und derselben dritten Warenart [=Geld!!!] ausgetauscht und als Werte verglichen werden“ (MEW 23/103) „Erst diese Form [das Geld] bezieht daher wirklich [!!!]die Waren aufeinander als Werte oder läßt sie einander als Tauschwerte erscheinen“ (80). Auch Engels‘ falsche Aussage, „das Marxsche Wertgesetz gilt allgemein, soweit überhaupt ökonomische Gesetze gelten, für die ganze Periode der einfachen Warenproduktion, also bis zur Zeit, wo diese durch den Eintritt der kapitalistischen Produktionsform eine Modifikation erfährt“ (MEW 25/909), wird von Marx gekontert, stellt er doch fest, das „das Gesetz des Wertes zu seiner völligen Entwicklung die Gesellschaft der großen industriellen Produktion und der freien Konkurrenz, d.h. die moderne bürgerliche Gesellschaft voraussetze“ (MEW 13/46).
c) Nicht der historische Gehalt der Begriffe, nicht irgendwelche historischen Parallelen oder Entwicklungen sind das Problem, das die Neuemarxlektüre mit der Deutung von Engels und Konsorten hat (siehe schon Ingo Elbes Kritik an den Behauptungen von Michael Krätke und Elbes gültige Darstellung der historischen Gehalte der Kritik der politischen Ökonomie, die auch den groben Unsinn Wendts widerlegen, in der neuen Marxlektüre „schließe schon die Definition des Betrachtungsgegenstandes das Denken von Entwicklungsprozessen aus“), sondern diese Theorie einfacher Warenproduktion und ihre empiristischen Gehalte. Der Empirismus, die Widerspiegelungstheorie von Engels (eine Kategorie muss einen unmittelbaren empirischen Bezugspunkt haben) ist das Problem, um das es hier geht. Daher kann Engels auch nicht verstehen, dass es die preislose Ware am Anfang des „Kapital“ nie empirisch geben kann und die Wertformanalyse auch als Nachweis dient, dass Warentausch ohne Geld nicht möglich ist. Ich sage es nochmal, ich will hier nicht das, was Heinrich und andere so klar herausgearbeitet haben, wiederholen. Wer ein unbefangenes Interesse an der Thematik hat und kein betonmarxistisches, wie Herr Wendt, der mag bei Heinrich in der „Wissenschaft vom Wert“ oder seinem „Wie das Marxsche Kapital lesen“ nachlesen.
d) Wendt kritisiert an der neuen Marxlektüre die ‚Ungehörigkeit’, dass diese bei Marx Inkonsistenzen ausmacht, dass diese die „Grundrisse“ heranziehe usw. Aber zunächst einmal ist nicht die historische Chronologie der Schriften von Bedeutung, sondern die argumentative Schlüssigkeit. Und da zeigt sich, dass auch im „Kapital“ die logische Aufeinanderfolge der Reichtumsbegriffe „die umgekehrte“ der historischen sein kann – z.B. im Falle der Entwicklung von industriellem Kapital und danach von Handelskapital (während historisch das Handelskapital früher existiert: MEW 25/337-39). Marx’ Äußerung aus den Grundrissen, die begriffliche Entwicklung sei vielmehr die „umgekehrte“ der historischen, wird hier also bestätigt.
Außerdem zerteilt Wendt den Marx auch wieder in zwei Marxe, einen Grundrissemarx und einen Kapitalmarx. Er macht also das, was er den Neuen vorwirft, nur ohne ein gutes Argument. Auch mal ne Maßnahme.
e) Ganz köstlich ist der „Vortrag“ von Robert Steigerwald, der nichtmal falsche Argumente liefert, sondern gänzlich ohne Argument auskommt. Bezeichnend für das jämmerliche Niveau seines Beitrags ist der Hinweis darauf, dass ein gewisser Dieter Wolf die neuen Marxologen Backhaus und Reichelt in einem ganz dicken Buch kritisiert habe. Das stimmt, nur ist Wolf eben auch Fan der „logisch-systematischen“ Deutung der Methode im „Kapital“. Da hat sich Herr Steigerwald also dummerweise den falschen „Verbündeten“ ausgesucht.
f) Ganz zum Schluss seines Machwerkes geht Holger Wendt dann nochmal so richtig aus sich heraus: Er Schreibt: „Ingo Elbe benennt diese Konsequenzen: „Inhaltlich wird [von der neuen Marxlektüre] (…) eine dreifache Abkehr von zentralen Topoi des Traditionsmarxismus vollzogen: Eine Abkehr vom werttheoretischen Substantialismus, von manipulationstheoretisch-instrumentalistischen Staatsauffassungen sowie von arbeiterbewegungszentrierten bzw. ,arbeitsontologischen‘ oder sogar generell von revolutionstheoretischen Deutungen der Kritik der politischen Ökonomie.“ Aus Elbes neomarxistischem Slang ins Deutsche [ach ja, Herr Wendt ist ja Mitglied der DEUTSCHEN KP!] übersetzt heißt das, die Neue Marxlektüre vollzieht erstens eine Abkehr von der Arbeitswerttheorie, zweitens eine Abkehr von der Auffassung, Staaten seien Klassenstaaten, der bürgerliche Staat mithin der Staat der Bourgeoisie, drittens eine Abkehr von der Arbeiterbewegung oder sogar generell von einer wissenschaftlich begründbaren revolutionären Perspektive. Wenn das der neue Marx ist, dann ziehe ich den alten vor.“ Das ist geradezu amüsant und so selbstentlarvend, dass es schon wehtut. Herr Wendt kann also den Klassenstaat nur dann Klassenstaat nennen, wenn er diesen als manipulierbares Instrument und Betrugsmanöver in den Händen der Bourgeoisie betrachtet (dazu hier und hier Kritisches), wenn er Machenschaften der Lobbys entlarven kann usw. Eine Arbeitswerttheorie kennt er nur als These, dass Arbeit als physiologische Einheit Wert bilde und dem Proletariat hält er ja ohnehin die Treue, freilich wie das DKPisten immer gemacht haben: Man unterstellt dem Proletariat das eigene Interesse und die wirklichen Proleten will man einem autoritären Sozialstaat unterordnen, dem man – als DKPist – selbst vorsteht.
Keine Lust mehr, auf diesen Unsinn weiter einzugehen. Wie sagt Wendt in seinem Artikel doch? „Glauben Sie auch mir nicht.“ Wenigstens DIESEN Satz sollte man ernst nehmen!!!